Über die Architektur

Über die Architektur

Sozialdemokratische Architektur – was ist das eigentlich?

Parteiresidenzen, gewiss…

Aus kunsthistorischer Sicht handelt es sich um Bauten unterschiedlicher Stile. Wir finden unter ihnen Barock und Klassizismus (das Volkshaus in Prag), Neorenaissance (das Volkshaus in Pilsen, die sog. „Hölle“, oder das Arbeiterheim in Kladno – Kladen), Jugendstil (das Arbeiterheim in Ostrava-Marienberg), klassische Moderne (das Volkshaus in Kladno – Kladen, später „Bergmannshaus“ genannt) oder die transformierte Moderne im Funktionalismus (das Arbeiterheim in Hradec Králové – Königgrätz, die sog. „Schießhalle“).

Ihr rechtlicher Status war recht verschieden. Die Häuser befanden sich im Eigentum von Genossenschaften (gegründet als Verbraucher- oder Produktionsgenossenschaften, gelegentlich auch unmittelbar zu ihrem Bau ins Leben gerufen) oder sozialdemokratischen Betrieben (z. B. Druckereien, die gleichzeitig auch Zeitungen, Zeitschriften und Bücher veröffentlichten).

Ebenso unterschiedlich waren ihre Schicksale. Manchmal wurden die Gebäude aus zweiter Hand erworben und nach und nach an die Bedürfnisse der Partei angepasst (z. B. das Volkshaus in Prag). Manchmal wurden sie in unmittelbarem Auftrag errichtet (etwa das Arbeiterheim in Hradec Králové, die sog. „Schießhalle“). Und gelegentlich wurden sie in ihrem Auftrag gebaut, der Partei büßte sie aber im Verlauf ihrer Existenz aber wieder ein (so wie das Arbeiterheim in Semily – Semil, den Einheimischen eher als Sokol-Turnhalle bekannt).

Gemeinsam war allen Häusern der Partei aber ihre Zweckbestimmung. Sie dienten nicht allein administrativen oder wirtschaftlichen Zwecken, sondern waren auch Zentren des gesellschaftlichen Lebens. Vermutlich jedes Volkshaus oder Arbeiterheim verfügte über eine Gaststätte sowie über Säle für künstlerische und Unterhaltungsaktivitäten. Und im Laufe der Zeit kamen Turnhallen, Kinos, Bibliotheken, aber zum Beispiel auch Hotelzimmer hinzu.

Die sozialdemokratische Architektur ist für uns aber nicht auf Parteiresidenzen beschränkt. Teil des sozialdemokratischen Milieus waren und sind Gewerkschaften. Daran erinnern etwa das Hauptquartier der tschechoslowakischen Gewerkschaften Na Perštýně in Prag aus der Ersten Republik, das Gewerkschaftshaus im mährischen Ostrava (Ostrau, Palác Elektra) oder das Haus in der Prager Straße Ve Smečkách, in dem im 19. Jahrhundert der erste tschechische Gewerkschaftsverband gegründet wurde, der Typografenverband. Wenn die Menschen, die jeden Tag vor der Volksküche Na Těšnově in Prag Schlange stehen, die Augen heben würden, könnten sie feststellen, dass sie vor dem Gebäude der einstigen sozialdemokratischen Großeinkaufsgenossenschaft stehen. Zu schweigen von Dutzenden von Wirtschaftsbetrieben, Verkaufsstellen oder Mietshäusern der einzelnen sozialdemokratischen Genossenschaften, seien sie nun Produktions-, Verbrauchs- oder Baubetriebe (z. B. die Prager „Gleichheit“ oder die Pardubitzer „Zukunft“).

Sozialdemokraten beeinflussten das Gesicht der böhmischen Länder auch durch viele öffentliche Bauten, durch Institutionen, in denen sie sich als Fachleute oder Interessenvertreter trafen. Manchmal lieferten sie nur bescheidene, manchmal gewaltige Beiträge, gelegentlich waren sie Initiatoren, ein andermal standen sie nur anderen nicht im Wege. Zum Beispiel in Prag das Gebäude der Zentralen Sozialversicherung, in dem bis heute die Verwaltung der tschechischen Sozialversicherung untergebracht ist. „Der erste tschechische Wolkenkratzer“, also das Gebäude des Allgemeinen Renteninstituts, heute Sitz des Böhmisch-Mährischen Gewerkschaftsverbandes. Oder das Gebäude der Tschechischen Unfallversicherung, an das sich viele noch als Sitz der Staatlichen Planungskommission erinnern – heute findet sich dort die Stadtverwaltung von Prag 7.

Noch sprechen wir nur von einzelnen Gebäuden. Dabei finden sich durchaus bemerkenswerte Beispiele für sozialdemokratischen Städtebau. In Städten wie Pilsen oder Mährisch Ostrava stehen für die Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit nicht nur viele öffentliche Bauten, von Kraftwerken über Krankenhäuser bis hin zu Krematorien, sondern ganze Gebäudekomplexe, Parkanlagen, die Gestaltung ganzer Stadtviertel.

Und schließlich war die Sozialdemokratie niemals nur eine Organisation und ein Gefüge, es waren stets auch einzelne Menschen. Menschen, die irgendwo wohnten, irgendwo arbeiteten, sich irgendwo versammelten. Sie wohnten in Villen, Mietshäusern, Arbeitersiedlungen und in Notunterkünften, arbeiteten in Fabriken, Büros und Bauernhöfen, trafen sich nicht nur in Parteiresidenzen, sondern auch in den örtlichen Kneipen und Kaffeehäusern.

All dies sind materielle Spuren der sozialdemokratischen Idee. All dies verweist auf Antworten auf die Frage, woher wir kommen. Wir werden sie beantworten können, wenn wir uns gründlich in der ganzen Tschechischen Republik umsehen.

Und wir werden vor weiteren Fragen stehen. Zum Beispiel: Hatten Sozialdemokraten als Bauherren privater und öffentlicher Bauten größeren künstlerischen Mut? War die sozialdemokratische Architektur auf der Höhe der Zeit oder dieser sogar voraus? Gibt es ein Spezifikum der „sozialdemokratischen Architektur“, das sie von der Architektur anderer Denkströmungen ihrer Zeit unterscheiden würde?

… und welche Spuren hinterlässt die heutige Sozialdemokratie im Gesicht der Tschechischen Republik?

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